In den letzten Monaten gab es viele Gerüchte um den aktuellen Stand beim Solus Projekt. Unter dem Titel „In Full Sail“ haben sich nun Joshua Strobl und Bryan Meyers aus dem Solus Core Team darum bemüht, Klarheit zu schaffen. Ihre Erläuterungen sind sowohl als Audio-Mitschnitt als auch als Mitschrift im neuesten Blogpost enthalten.
Im Folgenden will ich dessen Inhalt ein wenig zusammenfassen.
Timeline der letzten Monate
Ikey arbeitet Vollzeit an Solus
Im Juni 2017 hatte Ikey seinen Job bei Intel aufgegeben, um sich nunmehr in Vollzeit der Arbeit an Solus widmen zu können. Durch die Vollzeitarbeit an Solus konnte Ikey seine Arbeitszeiten besser limitieren und sich so mehr Freiraum für sich selbst verschaffen. Ein erstes Ergebnis dieser Umstellung war dann die Veröffentlichung von Solus 3. Das war dann allerdings auch der letzte Release bis zur Veröffentlichung der aktualisierten Images von Solus 3.9999 vor wenigen Wochen. Zeitgleich mit Ikeys Ausstieg bei Intel stieß auch Stefan Ric, bekannt als cybre, zum Team.
Zeitnah dazu stellte Bryan seine Arbeit am Haskell Development Stack fertig. Da dieser aus mehreren Hundert Paketen besteht konnte die damals verwendete Repo-Management-Software binman die Repo Indexe nicht mehr zügig genug erstellen. Als Folge dessen entwarfen Bryan und Ikey ferryd als Ersatz, wobei Ikey den größten Teil der Programmierarbeit übernahm. Dank ferryd konnten nun auch Stack Upgrades schneller umgesetzt werden, womit sich das Team in den darauf folgenden Monaten intensiver beschäftigte.
Ende des Jahres folgte dann noch das Welcome to the Grid Gamefest, in dessen Livestream auch die neue, snap-basierte Linux Steam Integration und der Steam Support in Solus erprobt wurden. Das war auch der letzte Livestream, an dem Ikey teilnahm. Joshua berichtet auch, dass er um den Jahreswechsel herum zum ersten Mal den Eindruck gewann, dass Ikey größere Veränderungen an seinem Privatleben plante.
Im Januar widmete sich Ikey dann dem Linux Driver Management, im Februar folgte dann die Neuimplementation des Software Centers. Bryan berichtet, dass Ikey und er im Februar und März im Wettstreit darüber lagen, ihren Lebenswandel durch bessere Ernährung und mehr Sport gesünder zu gestalten. Ende März schloss dann Ikeys Entscheidung, Late Night Linux zu verlassen, an diese Entwicklung an.
Ikey zieht sich langsam zurück
Zu dieser Zeit entschied Ikey, unter anderem auf Grund der negativen Entwicklungen innerhalb der Community in Social Media, sich aus Reddit und Twitter komplett zurück zu ziehen und mehr Zeit in die Entwicklung seines Privatlebens zu stecken. Das Kernteam diskutierte damals mit ihm, ob sie nicht mehr Verantwortung und klarer definierte Rollen übernehmen sollten, um ihn zu entlasten.
Im Juli gab Ikey dann bekannt, dass er wieder nach England ziehen muss, worauf hin sich Joshua und Bryan mit ihm in Verbindung setzen, um sich den Zugriff auf die OVH Server (Build-, Package- und Web-Server) zu sichern und so Komplikationen zu vermeiden. Die Domain, Google Apps for Business, Fastly und einiges mehr konnten dann aber aus zeitlichen Gründen nicht mehr angesprochen, geschweige denn übergeben, werden.
Am 13. Juli wurde der Freitags-Sync dann zum ersten Mal durch Bryan durchgeführt. Dieser Testlauf sollte sicherstellen, dass das Team auch ohne Ikey in der Lage ist, größere Änderungen an Solus durchzuführen.
Anfang August war Ikeys Umzug dann abgeschlossen. Trotzdem fand das Summertime Solus Hackfest ohne ihn statt, da er nur sehr schlechtes Internet hatte und sich beim Umzug wohl eine Grippe oder ähnliches zugezogen hatte.
Ausfälle und Migration
Am 27. August kam es zum ersten Ausfall der Solus Server. Da keiner aus dem Kernteam Zugriff auf das Admin-Panel des Hosters hatte erfuhren sie erst nach mehreren Telefonaten mit dem Support, dass es wohl an Wartungsarbeiten am Netzwerk läge. Am 5. September kam es dann zu einem zweiten Ausfall, wieder ohne Eingreifmöglichkeiten seitens des Kernteams. Erst am 6. September konnte Joshua dann in Erfahrung bringen, dass OVH den Servern wohl wegen ausgebliebener Zahlungseingänge den Saft abgedreht hatte. Nachdem er dem Support die Situation erklärt hatte, erklärte sich OVH bereit, die Server aus Kulanz noch 5 Tage laufen zu lassen.
Bryan organisierte darauf hin über seine Kollegen am Rochester Institute of Technology gebrauchte Server und richtete darauf die Ersatzumgebung für die Server bei OVH ein. Während Bryan die Migration der Buildumgebung und co. auf die neuen Server übernahm, kümmerte sich Joshua um die diversen Solus Webservices. Während dieses Zeitraums meldete sich Ikey dann doch noch beim Team. Er habe die OVH Server für die nächsten 30 Tage im Voraus bezahlt, so dass genügend Zeit für die Migration sei. Er sei allerdings zur Zeit sehr krank und werde sich am nächsten Tag noch mal melden. Das war am 7. September. Bis heute hat niemand vom Team etwas von ihm gehört.
Ab dem 11. September wurde dann über ein eopkg-Update die neue Infrastruktur als neues Repo eingebunden, so dass nun das Kernteam die volle Kontrolle über die benötigte Infrastruktur hatte. Mit den neuen ISOs für Solus 3.9999 wird nun auch direkt beim Clean Install die neue Infrastruktur hinterlegt. Innerhalb von nur 6 Tagen hatte das Team die komplette Infrastruktur neu hochgezogen und ein neues Release veröffentlicht.
Zur Kommunikation der vergangenen Monate
Die Spekulationen der vergangenen Monate wurden unter anderem dadurch angefeuert, dass das Solus Team im wesentlichen Punkten Funkstille hielt. Im Blogpost geben sie dafür 2 Gründe an:
- Wollten sie aus Respekt vor Ikey, sowohl als Person als auch als Hauptentwickler, auf ihn keinen unnötigen Druck ausüben. Sie wollten ihm die Zeit geben, seine Angelegenheiten zu ordnen.
- Nahmen die Migration und die danach nötigen Aufholarbeiten sehr viel Zeit in Anspruch, so dass für alles weitere einfach keine Zeit blieb.
Nachwehen
Da viele der Services direkt über Ikeys private Accounts oder administrative Solus-Accounts ohne Zugriff durch das Kernteam liefen gab es beträchtliche Nachwehen trotz der Migration:
- Dediserve, der Hoster für die solus-project.com Domain, verweigert bis heute den Zugriff. Entsprechend wird wohl dauerhaft die neue Domain getsol.us verwendet werden.
- Fastly, der CDN-Provider zur Laststeuerung des Repos, hat dem Team den Zugriff ermöglicht.
- Der Zugriff auf Google Apps for Business ist bis heute nicht möglich, da das Kernteam keinen Zugriff auf den administrativen Account hat.
- OVH, der Cloud-Provider für die Solus Server, war nicht bereit, dem Team Zugriff zu geben. Allerdings haben sie die Server 5 Tage länger am Netz gelassen, um eine Migration zu ermöglichen.
- SendGrid, der Mail-Provider für die Solus E-Mail-Adressen, hat den Zugriff verweigert. Allerdings gibt es nun einen neuen SendGrid-Account für die neue Domain.
Die Sache mit den Spenden
Spenden an das Solus Projekt liefen bisher immer über Patreon (für monatliche Spenden) oder PayPal (für einmalige Spenden). Auf beide hat das Team keinen Zugriff. Sie empfehlen daher, die Zahlungen einzustellen. Im Falle von Patreon schlägt Joshua außerdem vor, eine Rückerstattung anzufordern und dabei Unmut über ihr mangelndes Entgegenkommen auszudrücken. Er hofft, dass das Team so eventuell doch noch Zugriff auf die Spenden an das Projekt bekommt.
Fürs erste wird das Solus Projekt keine Spenden mehr entgegen nehmen. Das Team will erst sicherstellen, dass solche Probleme in Zukunft nicht mehr auftreten können.
Neustrukturierung des Teams
Im Zuge der Neustrukturierung wurden auch die Rollen innerhalb des Projekts genauer definiert:
- Bryan ist jetzt Technical Lead. Seine Hauptaufgaben werden die Entwicklung, das Enablement und der Support von Treibern, Kernel, Schlüssel-Subsystemen wie D-Bus und systemd sowie die Entwicklung von Packaging- und DevOps-Tools sein.
- Peter ist jetzt Performance Lead. Seine Hauptaufgaben werden die Entwicklung, das Enablement und der Support diverser Kompiler-Toolchains sowie die Entwicklung diverser Build-Time-Optimierungen und Benchmarking-Tools sein.
- Joshua ist jetzt Experience Lead. Seine Hauptaufgaben werden die Entwicklung, das Enablement und der Support der Budgie und GNOME Desktop-Umgebungen sowie die Entwicklung und der Support von Tools mit Bezug zu Community-Einbindung, Internationalisierung und Barrierefreiheit sein. Außerdem wird er weiterhin die Community im Blog und in den sozialen Medien betreuen.
Dank an Ikey
Bryan bedankt sich noch einmal ausführlich bei Ikey und stellt noch einmal klar, dass es sich nicht um eine Art feindliche Übernahme handelt. Das Team wird Solus betreuen und weiter entwickeln, doch die Türen werden Ikey immer offen stehen.
Änderungen bezüglich der Zugriffsrechte
Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass es wichtig ist, den Zugriff auf wichtige Teile der Infrastruktur nicht auf eine Person zu konzentrieren. Entsprechend wurden bereits einige Änderungen vollzogen:
- Neben Joshua hat auch Bryan administrativen Zugriff auf die getsol.us Domain, so dass auch er Änderungen bezüglich DNS umsetzen kann.
- Die Solus-Project Github-Organisation wurde durch die neue GetSolus Organisation ersetzt. Alle Mitglieder des Kernteams haben hier Besitzer-Rechte.
- Bryan, Peter und Joshua haben alle SSH-Zugriff auf die neuen, selbst gehosteten Server und virtuellen Maschinen.
- Neben Joshua hat auch Bryan administrativen Zugriff auf Solus SendGrid Account.
- Wie bereits auf der alten Infrastruktur haben auch auf der neuen Bryan, Peter und Joshua administrativen sowie SSH-Zugriff auf Phabricator, den Development Tracker.
Geplanter Beitritt zur Software Freedom Conservancy
In der Vergangenheit wurden alle rechtlichen Dinge direkt über Ikey abgewickelt. Allerdings stand schon seit langem die Entscheidung im Raum, Solus entweder in ein Unternehmen zu überführen oder die Abwicklung rechtlicher Dinge in eine andere Organisation zu überführen.
Das Team plant deshalb nun, für Solus die Mitgliedschaft in der Software Freedom Conservancy (SFC) zu beantragen. Dabei handelt es sich um eine non-profit Organisation, die als Dach-Organisation für FOSS Projekte dient.
Die Mitgliedschaft in der Software Freedom Conservacy würde einige Vorteile mit sich bringen:
- Spenden an Solus könnten über die SFC abgewickelt werden. Dadurch wären Spenden an Solus auch steuerlich absetzbar.
- Das Solus Projekt könnte Vollzeitentwickler über Werkverträge anheuern.
- Die SFC könnte beim Schutz und der Durchsetzung von Lizenzen und Marken des Solus Projekts helfen.
- Außerdem könnte die SFC bei der Organisation von Solus Community Events helfen.
Zu den Projekten, die bereits durch die SFC vertreten werden, gehören unter anderem:
- Coreboot
- Git
- Inkscape
- QEMU
- Samba
- Wine
Änderungen am Release Modell
In der Vergangenheit bestand das Release Modell aus Hauptversionen, zwischen denen Snapshots als ISOs bereitgestellt wurden. Die Releases erfolgten dabei in variablen Abständen.
Das neue Release Modell ermöglicht monatliche Releases, lässt größeren Änderungen aber genug Zeit zum Reifen. Es wird Major und Minor Releases geben. Mit Solus 4, dem nächsten Major Release, wird das neue Modell eingeführt werden.
Für Solus 4 will sich das Team auf die neue Budgie-Version 10.5 konzentrieren. Die Updates am Software Center werden in eines der nachfolgenden Minor Releases (4.x) verschoben.
Seit der Aktualisierung der ISOs auf Solus 3.999 vor wenigen Wochen hat es bereits einige Stack-Upgrades gegeben, die das Team nun in neue ISOs einbringen will. Das ist einer der Gründe für das neue Release Modell.
Für Solus 4.1 wird der Fokus auf Budgie 10.5.1 und dem Upgrade des Gnome Stacks auf Version 3.30.x liegen. Das neue Software Center hat keinen geplanten Release-Termin, es kommt sobald es fertig ist.
Torben und Marius haben auch in der Folge 43 vom NerdZoom Podcast über dieses Statement gesprochen. (Link folgt bei Veröffentlichung der Folge am Montag)
3 comments On Unter vollen Segeln – Neues vom Solus Projekt
Das ist ja schon eine harte Nummer. Das ganze hört sich ja schon so an, als ob Ikey größere (gesundheitliche) Probleme hat. Hier hoffe ich ja zunächst einmal, dass es ihm zumindest nicht schlechter und auch bald wieder besser geht.
Zu seinem Verhalten im gesamten Zeitverlauf muss ich jedoch sagen, dass man so mit einem Projekt nicht umgehen kann. Sobald das eine gewisse Größe erreicht hat und man angefangen hat, Spenden / Geld von anderen einzusammeln, hat man eine gewisse Verantwortung. Wenn ich dann schon ein Core-Team habe, muss ich sicherstellen, dass auch im Falle meiner Abwesenheit (Bus-Problem) weitere Menschen Zugriff auf die Infrastruktur und die gespendeten Geldern haben, um das Projekt weiter zu führen oder es ggf. auch sauber beenden zu können (Spenden zurückzahlen). So, wie es gelaufen ist, hat das ganze Projekt gelitten und die verbliebenen Entwickler werden es schwer haben, das Vertrauen der Nutzer und potenzieller Spender wieder zu erlangen.
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