ElementaryOS 6 Odin Testbericht

Elementary hat Version 6 “Odin” vorgestellt! Endlich Trackpad Gesten – aber auch ein leeres AppCenter. Hier ist der Testbericht:

Da ich schon eine Weile nichts mehr geschrieben habe – geschweige denn einen umfassenden Testbericht zu einer Linux-Distribution – ist es angebracht, dass ich euch ein paar Hintergrundinformationen gebe. In den letzten Jahren hat sich mein “Linux-auf-alles”-Drang abgeschwächt und ich habe mein tägliches Leben etwas praktischer gestaltet. Wahrscheinlich werde ich noch eine kurze Geschichte über meine Verwandlung von einem leidenschaftlichen FOSS-Anhänger zu einem datenschutzbewussten, praktisch veranlagten Benutzer der jeweils am besten für mich passenden Tools schreiben. Ich benutze immer noch Ubuntu 20.04 auf meiner Workstation im Büro, verschiedene Ubuntu LTS-Versionen auf meinen Servern und vor ein paar Monaten habe ich Fedora 34 auf meiner Home-Office-Workstation installiert (ein Langzeitbericht kommt demnächst), aber ich bin von einem Thinkpad X1 Carbon Gen 3 mit der “Distro des Tages” auf ein M1 Macbook Air umgestiegen, auf dem – wenig überraschend – macOS Big Sur läuft. Außerdem hatte ich das Pech, eine Reihe von Windows 10-Desktops betreuen zu müssen, so dass ich denke, dass ich verschiedene Desktop-Betriebssysteme zumindest vergleichen und ihre Vorteile einschätzen kann. Abgesehen davon muss ich zugeben, dass ich im letzten Jahr nicht das Bedürfnis hatte, etwas über neue Releases zu schreiben, da abgesehen von Gnome 40 in Fedora 34 nichts wirklich mein Interesse geweckt hat, und da warte ich mit meinem Testbericht über dieses große Upgrade, bis ich es in einer einigermaßen stabilen Beta von Ubuntu 21.10 ausprobieren kann. Wie dem auch sei, zurück zu der hier vorliegenden Distro.

Verbesserungen und Änderungen

Wenn ihr meine früheren Berichte über ElementaryOS gelesen habt (hier und hier), kennt ihr wahrscheinlich meine Meinung dazu. Wenn ihr sie nicht gelesen habt, hier eine Kurzfassung: Ich mag ElementaryOS, habe es in der Vergangenheit installiert und es anderen Benutzern empfohlen, finde aber, dass die letzte Version, 5.1 Hera, nicht mit Ubuntu 20.04 mithalten konnte. Heute kann ich als Teilzeit-MacOS- und Teilzeit-Gnome-3.38/40-Benutzer sagen, dass Pantheon (die Desktop-Umgebung von ElementaryOS) ziemlich faszinierend ist, sowohl was ihre Funktionen angeht, als leider auch, was ihre Trägheit auf meinem Rechner angeht. Er ist zwar nicht annähernd so leistungsfähig wie meine Ryzen 7 2700X Workstation oder mein M1 Macbook Air, aber er ist auch bei weitem nicht das leistungsschwächste System und sollte jeden Desktop gut ausführen können. Und man kann nicht einmal den Display-Treibern die Schuld geben, da die Intel iGPUs in der Regel unter Linux gut unterstützt werden.

Ich werde euch nicht mit den Details des Installationsprozesses langweilen. Der Installer wurde aktualisiert und sieht schicker aus als der alte Ubiquity Installer, aber wenn man schon einmal ein Android- oder iOS-Gerät eingerichtet hat, dann wird man auch hier nicht sehr überrascht sein. Was vielmehr überrascht, ist die Tatsache, dass ElementaryOS immer noch keine Upgrade-Option anbietet. Man könnte versuchen, die Paketquellen zu ersetzen und ein manuelles Upgrade durchzuführen, aber wenn man so sehr auf Selbstkasteiung aus ist, kann man auch gleich zu Linux From Scratch greifen. Für vernünftigere Leute ist der Clean-Install der einzige Weg, den man einschlagen sollte.

Beim ersten Start war ich ehrlich gesagt ziemlich überrascht, wie wenig sich seit Loki, Hera und Juno geändert hat. Es gibt einige willkommene optische Verbesserungen hier und da, aber nichts, was wirklich auffällt, sofern man nicht weiß, wo man suchen muss. Die kleinen Feinheiten, wie das Anzeigen der Tastenkombinationen neben den Kontextmenüpunkten (wie in macOS),

die Möglichkeit, das Design leicht zu ändern und die Akzentfarbe anzupassen,

und vor allem die Änderungen unter der Haube des Fenstermanagers. Die Arbeitsflächenverwaltung sieht verdächtig nach der von macOS aus, aber ich denke nicht, dass das eine schlechte Sache ist. Das Grunddesign ist gut, und obwohl viele Distributionen versucht haben, das Aussehen zu imitieren, scheitern die meisten am Feeling des Systems. Eine der größten Tücken ist das Ansprechverhalten der Trackpad-Gesten. In der Vergangenheit haben Benutzer (mich selbst eingeschlossen) versucht, sie mit Hilfsprogrammen wie touchegg zu implementieren, aber das reichte nicht aus, da die gewünschte Aktion erst ausgeführt wurde, nachdem man die Geste komplett ausgeführt hatte. Dies ist eine Einschränkung der meisten XServer-basierten Fenstermanager, wobei die einzige mir bekannte Ausnahme der in Odin selbst ist. Andere Distributionen, wie z.B. Fedora 34, haben dieses Problem durch den Wechsel zu Wayland und Gnome 40 gelöst, so dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Desktop-Linux es schafft, eines der größten Ärgernisse der von Windows Precision-Treibern und Apples fantastischen Touchpads verwöhnten Benutzer zu beseitigen.

Glücklicherweise sind die Gesten nicht nur zur Show da, sondern werden auch auf die ElementaryOS-eigenen Apps angewendet. Sie funktionieren auch im Standardbrowser gut, der Safari recht gut nachahmt. Ich wünschte nur, die gleiche Vor-und-Zurück-Geste würde in mehr Apps funktionieren, aber das wird hoffentlich in Zukunft kommen.

Apropos distro-spezifische Anwendungen: Die meisten davon finde ich immer noch gut designt und angenehm zu benutzen. Ich mag die Dateien-App mehr als Finder in macOS, vor allem, weil sie die einzige gute Funktion übernimmt, die dieser gescheiterter Dateimanager zu bieten hat: die Spaltenansicht.

Besonders gut gefällt mir die Option ” Server verbinden…”, die sehr benutzerfreundlich ist und besser funktioniert als die Alternativen in Nautilus und Co..

Das einzige Problem, das ich finden konnte, war die Verbindung zu einer AFP-Dateifreigabe, aber dieses Protokoll ist ein solcher Rohrkrepierer, dass ich daran zweifle, dass das Problem auf Seiten der Distro liegt.

Der Rest des Desktops

Die Benachrichtigungen verstecken sich in einem netten, ausklappbaren Panel:

Zwischen Audiogeräten kann direkt im Sound-Applet gewechselt werden:

Das Kalender-Applet zeigt den Kalender und die anstehenden Termine des ausgewählten Tages in einem zweispaltigen Layout. Ich wünschte mir nur, ich könnte dort auch direkt neue Termine erstellen.

Außerdem gefällt mir, was die Entwickler mit nicht ganz so verbreiteten Features wie Bildschirmzeit-Begrenzungen, leseschwächefreundlichem Text und dem Berechtigungen-Menü gemacht haben.

Software-Verteilung

Ironischerweise ist der Hauptgrund, warum man ElementaryOS in Betracht ziehen sollte, auch der Grund, warum ich es derzeit eher als ein Downgrade empfinde: AppCenter – der einzige vorinstallierte Software-Store – ist extrem karg, wenn man ihn mit Alternativen wie dem Snap Store oder sogar mit früheren Versionen seiner selbst vergleicht. Er zeigt nur wenige Apps an, die zudem oft in mehrere Kategorien passen, was ihn noch leerer macht, als es zunächst den Anschein hat.

Das ist offensichtlich auf die Umstellung von ElementaryOS von der eigenen Softwaredistribution hin zu Flatpak zurückzuführen, aber der erste Eindruck ist dadurch nicht besonders gut. Es zwingt einen dazu, auf flathub.org nach Apps zu suchen, das zwar ein völlig akzeptabler Ort zum Hosten einer App ist, sich aber auch wie ein Schritt zurück in die Vergangenheit anfühlt. Selbst Windows drängt seine Nutzer in Richtung Windows Store und WinGet, was meiner Meinung nach der richtige Weg ist.

Nachdem man seine erste App von flathub.org oder einer anderen Quelle installiert hat, wird die entsprechende Website automatisch als Quelle zum AppCenter hinzugefügt und der Software Store wird mit Anwendungen aufgefüllt. Das ist jedoch ziemlich unintuitiv und könnte beim ersten Öffnen des AppCenters mit einem Einführungs-Pop-up unterstützt werden.

Vergleicht man das mit den Erfahrungen, die man beim Snap Store machen kann – auch wenn dieser ebenfalls Probleme hat (viele schlecht gepackte oder unbrauchbare Apps) – so zwingt dieser einen wenigstens nicht dazu, die Installationspakete wie ein Höhlenmensch über den Webbrowser herunterzuladen.

Fazit

Ich muss zugeben, dass ElementaryOS 6 Odin mein Interesse geweckt hat und werde es auf meinem alten Laptop behalten, um zu sehen, ob sich das AppCenter mit den Anwendungen von Drittanbietern füllt, wofür ElementaryOS bekannt ist. Gerne würde ich auch Leistungsverbesserungen sehen, bin in dieser Hinsicht aber nicht so hoffnungsvoll. Der Desktop ist so ausgefeilt wie bei jedem kommerziellen Betriebssystem. Hoffentlich trägt die Umstellung auf Flatpak und das ständige Bemühen, App-Entwickler dazu zu bringen, nativ aussehende Premium-Apps für die Plattform zu entwickeln, endlich Früchte! Bis jetzt waren die älteren Versionen vollgestopft mit schönen, aber seichten Einwegprogrammen. Mit Flatpak als einem der drei universellen App-Paketformate kann die Entwickler-Community hoffentlich mehr Nutzer erreichen, auch wenn die ElementaryOS-nativen Anwendungen auf anderen Desktops vielleicht ein wenig schräg aussehen.

Dieser Artikel erschien auch auf Michal’s Blog und wurde von André Hahn übersetzt.

Ein ewiger Computer Science Student mit einer Leidenschaft für Open Source Evangelismus. Bringt seit 2007 Menschen zu GNU / Linux. Professioneller Software Pfuscher

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